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Fürther Erzählnacht - aus dem Leben eines Viertels


von Martin Ellrodt

Am Anfang stand der Vorsatz, eine Idee zu klauen: in der andalusischen Kleinstadt Guadalajara wird schon seit langem alljährlich ein „maratón de los cuentos“, ein Geschichtenmarathon organisiert, der bis zu 48 Stunden dauert und tausende von BesucherInnen anzieht. Im Zehn-Minuten-Takt wechseln die Erzählenden, jedeR darf auf die Bühne und erzählen, wovon sie wollen. Hauptsache, eine Geschichte.


Fürth in Bayern ist nicht viel kleiner als Guadalajara, nur sind die Bewohner dieses Landstrichs erfahrungsgemäß nicht ganz so erzählfreudig wie ihre nach Süden ausgewanderten Vorfahren in (V)Andalusien.


Trotzdem: das „Quartiersmanagement Westliche Innenstadt“, das aus den Mitteln des Programms „Soziale Stadt“ gefördert wird, fand meine Idee gut, an Ort und Stelle ein Marathönchen zu probieren, und zwar nicht mit neben- oder hauptberuflichen ErzählerInnen, sondern ausschließlich mit Menschen, die in Fürth und vor allem in der Innenstadt wohnen.


Am 22. November 2008 war es soweit, und die erste „Fürther Erzählnacht“ wurde ein voller Erfolg. 25 Erzählerinnen und Erzähler erzählten sechs Stunden lang herzzerreißende, schaurige, zum Brüllen komische oder still anrührende Geschichten aus dem eigenen Leben oder dem eines Familienmitglieds, von letzter Woche, aus den 60ern oder dem Nationalsozialismus.


Zusätzlich zu den ErzählerInnen, die sich im Vorfeld bereit erklärt hatten, mit einer Geschichte aufzutreten, gab es spontane Meldungen, von einem Gast aus New York bis zu einem sechsjährigen Jungen, der stundenlang zuhörte und dann unbedingt selbst erzählen wollte, zum ersten Mal in seinem Leben eine ganze Geschichte auf der Bühne, die Mutter saß in der letzten Reihe und hatte Tränen in den Augen.


Die Premiere war ein so durchschlagender Erfolg, so dass schon kurz nach ihrem Ende die Fortführung beschlossen wurde: in den Jahren 2009, 2010 und 2011 gab es je eine Ausgabe. Dann wurden die Subventionen aus dem Programm Soziale Stadt zurückgefahren, zum großen Bedauern vieler Menschen gab es in den Jahren 2012 und 2013 keine Erzählnacht. Die Idee aber hatte eine solche Anziehungskraft, dass sich mittlerweile genügend private Sponsoren gefunden haben, um auch 2014 wieder Menschen zum Erzählen und zum Zuhören zu bewegen: am 29. November 2014 ist es soweit, die fünfte Fürther Erzählnacht bricht an.


Bei den bisher durchgeführten Veranstaltungen haben über hundert Menschen aus dem Viertel erzählt, der Bäcker, der Mann vom Schlüsseldienst, der ehemalige Stadtpolizist, die Kunstmalerin, der Oberbürgermeister, die Buchhändlerin, die Erzieherin der Tagesstätte, Hiergeborene, Hergezogene, Eingewanderte.


Ein Universum von Geschichten hat sich an jedem Abend geöffnet, und oft genug ist jene besondere Stille entstanden, die nur geboren wird, wenn eine Geschichte geteilt wird und die Herzen erreicht.


Wie wär‘s, wenn Sie diese Idee klauen? Hilfestellung gibt‘s bei mir...


Martin Ellrodt, Fürth, im September 2014

Kontakt: martin(rollmops)ellrodt.de